Direkt zum Hauptbereich

Der Superheld

Mit müden Augen schlurfte Karl zum Briefkasten. Nachlässig fiel sein Bademantel von den hängenden Schultern, der lauwarme Kaffee blieb am Dreitagebart kleben. Als er die Zeitung aufschlug, verschluckte er sich. Es folgte ein ein erstickungsähnlicher Hustenanfall, der jedem Kettenraucher zur Ehre gereicht hätte. Karl fing sich wieder, wischte den verschütteten Kaffee auf und goss sich neuen ein. Wo soll das alles nur hinführen? Schon wieder brennt es an allen Ecken und Enden und er allein soll die Welt retten. Er hatte einfach keine Lust mehr. Der korrekte Karl hatte einfach keine Kraft mehr. Zu neudeutsch nannte man das wahrscheinlich Burn-Out.

Aber es half nichts. Schließlich war es sein Job! Bevor er sein E-Mail-Postfach öffnete, klickte er sich durch Ziele für Pauschalurlaubsreisen. Einfach mal die Seele baumeln lassen und der Welt den Rücken kehren. Die Karibik wäre doch schön... aber sofort rief eine kleine Stimme in seinem Kopf, dass er mit dem langen Flug erstens die Luft verschmutzte und zweitens die Einwohner des Landes mit einer Pauschalreise ausbeuten würde. Von dem von ihm gezahlten Reisepreis käme ja dort nichts an. Und überhaupt. Pauschalurlaub. Pauschalurlaub! Wie niveaulos!

Er seufzte und überflog seine E-Mails. Sie nach Priorität zu sortieren, hatte er längst aufgegeben. Das brachte ihm nur Beschwerden ein, wenn er den Schmetterlingzuchtverein Kreuzbirnbaum wegen der Bedrohung des Zuckergussfalters weniger wichtig erachtete als den Knubbelkäferfanclub Neuhausen e.V., der sich für die sichere Straßenüberquerung des Knubbelkäfers einsetzt. Und wenn dann auf einem Baufeld noch ein seltener Schwammerl gefunden wird, dann war sowieso alles aus! Wenn diese Schwammerl wenigstens noch leuchten würden, damit man Strom spart. Dann hätte Tschernobyl wenigstens einen Sinn gehabt. Aber nein! Es waren halt Schwammerl, die man nicht einmal in eine Rahmsoße schmeißen kann.

Wie soll man denn da arbeiten? Er war doch keine Maschine! Er war doch auch nur ein Mensch! Ja, genau, einer. Sein Mitarbeiter hatte nämlich gekündigt. Selbst seiner treuen rechten Hand war es zuviel geworden. "Karl", hatte Sauber-Simon gesagt, "ich kann so nicht weitermachen. Diese Arbeitszeiten sind ja schlimmer als im Einzelhandel. Die Bezahlung ist unter aller Sau und den Dank der Menschen kannst du dir in der heutigen Zeit auch an den Hut stecken. Nur noch angepflaumt wird man. Alle wollen sie gleich die Welt bewegen, die einzelnen Schritte sehen sie nicht." Doch Karl hatte ihn nur darauf hingewiesen, dass er den Ausdruck "angepflaumt" nicht verwenden dürfe. Der Obstler-gegen-Ignoranz-Verein Tumbenhausen hatte ihn jüngst darüber aufgeklärt, dass der Ausdruck ein negatives Bild der Pflaume erzeuge, die ja an sich ein sehr verträglicher Zeitgenosse sei. Nur hin und wieder stieße sie zwar sauer auf, aber das sei noch lange kein Grund, eine beleidigende und teils aggressive Sprachhandlung mit dieser doch wirklich harmlosen Frucht zu verknüpfen. Daraufhin lief Sauber-Simon knallrot an, stürmte zur Tür hinaus, die er zum Abschied krachend zuschlug.

Seitdem ward er nie wieder gesehen. Der korrekte Karl würde nach Ersatz suchen müssen. Er sah die Fallstricke jetzt schon. Er würde nicht umhin kommen, Simon durch eine Frau zu ersetzen. Frauenquote und so. Und dann, wenn er eine Frau eingestellt haben wird, wird es heißen, dass es ja typisch sei. Er der Boss, sie die Untergebene. Wenn er nicht aufpasste, war er wohl bald seinen Job los. Obwohl... so schlecht wäre das ja gar nicht.

Dann könnte er ja ganz bescheiden weiter die Welt retten. Sich für ein einzelnes Projekt entscheiden, das ihm besonders am Herzen lag. Niemand würde er davon erzählen! Ganz im Stillen würde er sich dafür engagieren, jawohl. Dann würde er sich wenigstens nicht noch rechtfertigen müssen, warum und wieso es gerade die..., nein, das würde er nicht verraten, sein soll. Er hätte ganz einfach für sich ein gutes Gefühl und keinen anderen ging das was an. Niemand würde mehr darüber urteilen, ob er seinen Job richtig ausführe.

So machte sich der korrekte Karl sofort an den Entwurf der Stellenausschreibung.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Willi, der kleine Weihnachtsbaum

Willi freut sich. Er reckt jeden seiner Äste von sich und schüttelt die Schneeschicht ab, die sich über Nacht wie Puderzucker über seine Zweige gelegt hat. Jeder soll sehen können, was für eine prächtige Nordmanntanne er ist. Er ist der perfekte Weihnachtsbaum. Es ist der Tag vor Heilig Abend. Heute lernt er die Familie kennen, mit der Willi das Weihnachtsfest verbringen darf, da ist er sich sicher. Schon stapft Bauer Heinrich zu dem Metalltor des kleinen Christbaumverkaufs. Er löst die schwere Kette und schiebt das Tor weit auf. Einige Autos warten schon und fahren auf den Parkplatz. Sie sind bunt wie Christbaumkugeln. Willi überlegt, in welchem Auto er mitfahren wird. Vielleicht in dem blauen? Oder in dem grünen? Er kann es kaum erwarten, mit roten und goldenen Kugeln geschmückt zu werden. Wird er eine Spitze oder einen Stern als Krone aufgesetzt bekommen? Willi fühlt schon die Geschenke, die von unten an seinen Zweigen kitzeln und wie sich seine Lichter in den Augen der Kinder spieg...

Oma in der Pflicht?

Auf Einer schreit immer erschien kürzlich ein Gastbeitrag darüber, dass man sich als Mutter Unterstützung von der Oma wünschen würde, die aber ihr Leben in vollen Zügen genießt, sich im Fitnessstudio und auf Reisen herumtreibt, während die Working Mum sich wie im Hamsterrad aus Beruf, Haushalt und Kindererziehung fühlt. Früher sei das ganz anders gewesen. Früher hätten Omas gestrickt und mit dem Enkel auf der Parkbank sitzend Vögel gefüttert. Ich glaube, hier ist jemand dem "Früher war alles besser"-Irrglauben aufgesessen. Zumindest trifft das gezeichnete Bild der Märchen-Oma nicht auf meine eigenen zu. Diese waren jünger als Zwergnases Omas jetzt und auch noch selbstständig. Demnach musste meine Mutter den Alltag mit zwei Kindern auch alleine stemmen. Meine Omas waren da, wenn Not am Mann war oder wenn meine Eltern eben einmal ausgehen wollten. Ich glaube aber nicht, dass sich meine Mutter gewünscht hätte, dass ihre Mutter und ihre Schwiegermutter sich in ihren Hausha...

Timing ist alles

Es gibt immer einen Grund, keinen Sport zu machen. Der aktuelle Wetterbericht macht es einem zusammen mit den hoch präzisen Prognosen des Regenradars da ziemlich leicht. Als ich um 10 Uhr aus dem Fenster sehe, scheint die Sonne, am fernen Horizont sind ein paar Wölkchen zu sehen. Ich ahne es bereits, so kündigt sich der meteorologische Weltuntergang an. Ich trinke sicherheitshalber noch einen Cappuccino und verschiebe meinen Spaziergang auf die postapokalyptischen Stunden des Tages. Sicher ist sicher. Um 13 Uhr wirbelt der wüstentrockene Blütenstaub auf dem Balkon in kleinen Mini-Tornados von links nach rechts und wieder zurück, der Wind treibt regenschwere, schwarze Wolken vor sich her. Zufrieden mit meiner Entscheidung nippe ich an meinem Weihnachtstee mit Glühwein-Aroma und beobachte das nicht stattfindende Spektakel. Erwartungen sind des Glückes Tod. Gegen 16 Uhr checke ich erneut das Regenradar. Die Regenwahrscheinlichkeit liegt bei enttäuschenden 40 Prozent, selbst die Wolken si...