Vor Helene lag eine Zigarette im Aschenbecher und
qualmte. Sie nahm sie umständlich zwischen Zeige- und Mittelfinger und zitterte
damit zum Mund. Sie inhalierte zu schnell einen tiefen, langen Zug. Beim Ausatmen
vermischte sich ihr Schluchzen mit einem Husten. Fünf Jahre hatte sie nicht
mehr geraucht. Sie drückte die nicht halb gerauchte Zigarette mit fahrigen
Bewegungen aus. Dabei brach sie in der Mitte auseinander. Mit dem Handrücken
verwischte sie ihren Kajal. Sie schenkte sich Rotwein nach. Sie hatte keine
Ahnung von Wein. Es war eine billige Flasche vom Discounter. Sie leerte den
Zahnputzbecher in einem Zug. Dann warf Helene ihn an die Wand. Reste des Weins
rannen die weiße Wand hinunter. Die Flecken würden ewig halten. Helene sah es
nicht. Sie hatte den Kopf auf die Arme gelegt und schluchzte in die Platte des
Campingtisches, bis keine Tränen mehr kamen.
Sie setzte die Flasche an die
Lippen und trank in großen Schlucken. Es war die dritte heute, doch der Schmerz
blieb. Die Wohnung war kein Zuhause mehr. Unter
der nackten Glühbirne standen der Campingtisch und zwei Hocker. Unter dem
Fliesenspiegel war ein Multifunktionsofen angesteckt. Auch vom
Discounter. Aber der kleine Kühlschrank war leer. Alles war leer. Weil er ihr
alles genommen hatte! Nein, nicht nur, weil er sie Monate lang belogen und
betrogen hatte. Ihr gesagt hatte, dass es Raphaela im Bett einfach „besser
bringt“. Er hatte alles mitgenommen. Selbst den Staub ihrer Beziehung hatte er
beseitigt. Er hatte Helene um ihre Zukunft beraubt. Und auch von der Vergangenheit war nichts mehr übrig. Zehn Jahre wurden mit dem Staub einfach aus der Wohnung
gefegt. Helene trank die Flasche aus und warf auch diese an die Wand. Die Flasche
prallte dumpf ab, als könne sie nicht glauben, was mit ihr geschah, fiel zu
Boden und zerbarst in Tausend Teile. Der Putz bröckelte, ein paar Brösel fielen
zu Boden. Mitten in die Scherben hinein. Die Reste des Rotweins schlängelten sich wie
Blut dazwischen. Zorn packte Helene. Sie schraubte die nächste Flasche auf,
schlurfte in ihren Plüschhausschuhen zur Tür, warf sich eine leichte Wollweste
über den Pyjama und trat in die kalte Winternacht hinaus.
Es war klirrend kalt
und es hatte angefangen zu schneien. Die Straßen waren leer und still. Alle
feierten Weihnachten mit ihren Liebsten. Durch das Fenster sah Helene sie. Raphaela
mit gewölbtem Bauch. Er stand hinter ihr, sie wiegten sich zur Musik. Wie sehr
hatte Helene sich ein Baby gewünscht. Helene
rollte sich auf dem blanken Asphalt zusammen. Sie wünschte sich, nie mehr
aufwachen zu müssen. Sie kam erst im Krankenhaus wieder zu sich.
„Hallo! Erde an
Helene! Willst du nun mit mir Essen gehen?“ Erwartungsvoll blickt Luca ihr in
die Augen. Sie blinzelt das letzte Weihnachten zur Seite. Helene spürt das
Prickeln der Abendsonne auf ihrer gebräunten Haut. Sie genießt es jede Woche
aufs Neue, wenn sie die Kälte des aus Stein gemauerten Gemeindehauses hinter
sich lässt und hinaus in die Wärme des Sommers tritt. Sie sieht Luca lange an. Helene
nickt langsam und nimmt ihn an der Hand. Als der Kellner ihnen den Wein des
Tages anbietet, lehnen beide ab.
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