Direkt zum Hauptbereich

Gelernt ist eben gelernt

Es gibt so einige Berufe, in denen könnte ich nicht arbeiten. Es liegt in der Regel nicht an dem notwendigen Know-how, das kann man sich aneignen. Vielmehr fehlt mir die innere Moral. Die grundsätzliche Arbeitshaltung. Wirklich abwegig wäre für mich die Arbeit im Krankenhaus. Sowohl als Arzt oder Krankenschwester wäre ich völlig ungeeignet, weil man mir nur mit Worten ausmalen braucht, wie das Blut spritzt, damit ich in Ohnmacht falle.

Aber ein Krankenhaus hat ja noch mehr Berufsfelder zu bieten. Es braucht zum Beispiel Reinigungskräfte. Auch diesen Job würde ich wohl mehr schlecht als recht erfüllen. Nicht, weil es mir vor Blut, Fäkalien und was weiß ich grausen würde, nein, dafür gibt es schließlich Handschuhe. 

Mir fehlt das Selbstbewusstsein, ständig unter den Augen fremder Leute zu arbeiten, die mir dann auch noch sagen wollen, was ich zu tun habe, obwohl sie von der Materie absolut keine Ahnung haben.
Erst als ich neulich im Krankenhaus zu Besuch war, habe ich das schwere Los der Reinigungskräfte erkannt. Und ich Idiotin hätte mich gar nicht schlimmer verhalten können! Die Tür des Stationszimmers ging auf. Von meinem Platz aus sah ich schon das blaue Putzwägelchen. Der Raum war voll, die beiden Patienten hatten viel Besuch. Herrgott! Und da soll die arme Frau jetzt wischen. Ihr musste es ob dieses Hindernisses die Sprache verschlagen haben, denn sie stapfte ohne ein Wort der Begrüßung bis zum Fenster, um den Lampenschirm abzustauben. Wahrscheinlich hätte sie auch gerne den Tisch abgewischt, aber das Tablett darauf boykottierte dieses Vorhaben unerbittlich. Die arme Frau verschwand im Bad - mit demselben Lappen. Zum Glück steht das Waschbecken aber mit Hygieneartikeln voll. Also musste sie es wohl nicht abwischen. Diesen Schluss ließ zumindest die Dauer ihres Aufenthalts im Bad zu. Darüber, wo der Lappen schon überall gewesen oder nicht gewesen war, will ich gar nicht nachdenken.

Als die arme Frau den Müllsack wechselt wollte, wies ich dumme Kuh sie darauf hin, dass das die Schwester bereits vor einer halben Stunde erledigt hatte, woraufhin der Dame wohl der Kragen platzte. Ich solle sie ihre Arbeit tun lassen, sie wisse schließlich, was sie da tut und stopfte demonstrativ einen zweiten Müllsack über den ersten. Es muss eine Instanz geben, die am Ende der Schicht die Müllsäcke überprüft und wehe, die Reinigungskraft bringt einen zuviel zurück! So musste es sein!

Abschließend stand das Wischen des Bodens an. Dabei war nur schwer zu erkennen, ob der Lappen den Dreck aufnahm oder ihn verteilte. Aber was soll man sagen. Das Geld ist knapp. Da muss ein Lappen schon für das halbe Krankenhaus herhalten. Es soll ja auch Wetten darauf geben, wie viele Zimmer man schafft, ohne den Lappen erneut ins Wasser zu tauchen. Meinen Fehler von vorher wieder gut machen wollend, hob ich der Reinigungskraft den Abfalleimer an, damit sie bequem darunter wischen konnte. Doch sie schien beleidigt gewesen zu sein, dass ich mich erneut in ihren Aufgabenbereich einmischte. Ich musste den Eimer abstellen, damit sie sorgfältig darum herum wischen konnte. 

Ich könnte ja auch gar nicht die Geduld aufbringen, die es braucht, um sorgsam zwischen den Rollen des Infusionsständers hindurchzuwischen. Dazu benötigt man auch ein erhebliches Maß an Geschick! Das muss man erst einmal hinbekommen, dass sich die Aufhängung keinen Millimeter bewegt! Nicht auszudenken, wenn man den Ständer kurzerhand verschieben würde und einfach die ganze Fläche wischen würde. Die Kunst des Wischens ginge ganz und gar verloren. Ich hätte einen Kardinalfehler nach dem anderen begangen. So hätte ich auch die Schlieren zwischen den beiden Betten entfernt. Aber dann sähe man ja nicht, dass hier gearbeitet wird. Es wird also ganz vorsichtig darüber gefegt, damit die Spuren sichtbar bleiben. Es ist das harte Los der Reinigungskraft, dass man dem Raum eben nicht ansieht, dass sie schon da war. Gelernt ist eben gelernt.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Küchenschlacht

Teller, Tassen, Schüsseln, Gewürze und Töpfe stapeln sich auf der Arbeitsfläche und dem Küchentisch. Goldlöckchen linst zur Tür herein, macht auf der Stelle kehrt und erstattet dem Rest der Mannschaft Bericht. Alarmstufe rot! Die Küche ist Sperrgebiet! Kontaktaufnahme mit Mama nicht möglich! Der Göttergatte packt die Kinder ein und evakuiert zur Schwiegermutter. Als die Familie zurückkehrt, scheint alles ruhig. Ich liege mit hoch gelegten Füßen auf der Couch. Der Göttergatte traut dem Frieden nicht. Schon auf der Arbeitsfläche sind Veränderungen zu erkennen. Die Kaffeemaschine hat die Seite gewechselt. "Kinder, helft den Tisch für die Brotzeit decken!" Er öffnet den ersten Schrank und macht ihn wieder zu. Die Teller werden vermisst. Goldlöckchen zieht die Besteckschublade auf. "Hä? Wo sind die Messer?" Ich verdrehe die Augen, versammle die Mannschaft und gebe eine Einweisung. Die Tassen und Teller orientieren sich an der Kaffeemaschine, das Besteck musste sich aufte...

Willi, der kleine Weihnachtsbaum

Willi freut sich. Er reckt jeden seiner Äste von sich und schüttelt die Schneeschicht ab, die sich über Nacht wie Puderzucker über seine Zweige gelegt hat. Jeder soll sehen können, was für eine prächtige Nordmanntanne er ist. Er ist der perfekte Weihnachtsbaum. Es ist der Tag vor Heilig Abend. Heute lernt er die Familie kennen, mit der Willi das Weihnachtsfest verbringen darf, da ist er sich sicher. Schon stapft Bauer Heinrich zu dem Metalltor des kleinen Christbaumverkaufs. Er löst die schwere Kette und schiebt das Tor weit auf. Einige Autos warten schon und fahren auf den Parkplatz. Sie sind bunt wie Christbaumkugeln. Willi überlegt, in welchem Auto er mitfahren wird. Vielleicht in dem blauen? Oder in dem grünen? Er kann es kaum erwarten, mit roten und goldenen Kugeln geschmückt zu werden. Wird er eine Spitze oder einen Stern als Krone aufgesetzt bekommen? Willi fühlt schon die Geschenke, die von unten an seinen Zweigen kitzeln und wie sich seine Lichter in den Augen der Kinder spieg...

Schrödingers Gutschein

Bei The Big Bang Theory schaut Mathe und Physik immer so einfach aus. Nie hätte ich gedacht, selbst einmal auf ein Phänomen zu stoßen, das die Welt revolutionieren könnte. Doch genau das ist geschehen! Ich bin da etwas ganz Großem auf der Spur... Alles begann ganz harmlos damit, dass ich von meiner Schwiegermutter einen Gutschein mit den Worten "Gönn dir was Schönes!" geschenkt bekam. Im Gegensatz zu Bargeld, das erst in Lichtgeschwindigkeit im Geldbeutel verschwindet, um dann wie eine Sternschnuppe für Klopapier und Zahnpasta zu verglühen, ist ein Gutschein dazu in der Lage, den Aggregatszustand eines Wunsches von Schall und Rauch in eine feste Masse zu verwandeln. It's magic! Ich saß also abends auf der Couch und scrollte planlos durch den Online-Shop, bis mir einfiel, dass ich ich schon lange dieses eine E-Book haben wollte, das mir bisher immer zu teuer war. Blöd nur, dass mein Gutschein in den unendlichen Weiten meiner Küchenschublade feststeckte. Leider war es mir a...