Direkt zum Hauptbereich

Mein Leben als Spaßbremse

Du wünscht dir ein Kind. Du willst es anhimmeln, verwöhnen. Du willst für das Kind der wichtigste Mensch im Leben sein. Sieht man von der Babykotze, den Stinkewindeln und den durchwachten Nächten einmal ab, ist es auch genauso. Fasziniert verfolgst du die Entwicklung deines Sprosses. Das erste Lächeln, die ersten Schritte, die ersten Worte. Du würdest wirklich alles für dein Kind tun.

Wirklich alles? Nein. Denn so sehr du auch in dein Kind verliebt bist, irgendwann beginnt es unweigerlich ein Verhalten an den Tag zu legen, das gesellschaftlich nicht akzeptiert ist. Es schreit vor Wut, wirft Dinge durch die Gegend oder sich selbst auf den Boden. Manchmal schafft es auch alle drei Dinge auf einmal. Das ist der Zeitpunkt, an dem du dein Kind nicht mehr uneingeschränkt anhimmeln darfst. Es ist der Zeitpunkt, an dem spätestens von dir erwartet wird, dein Kind zu sozialisieren. Gemeinhin sagt man dazu auch Erziehung.

Glaube ja nicht, dass du dich dabei auf irgendwen als dich selbst verlassen kannst. Denn dein Kind lernt auf wundersame Weise - und zwar wahrscheinlich vom Teufel höchstpersönlich - wie es dich um den kleinen Finger wickeln kann. Ein Blick, ein tollpatschiger Satz oder eine liebevolle Geste. Den kleinen Teufelchen ist nichts heilig, wenn es um Schokolade, Saft und Spielzeug geht.

An dieser Stelle nimmt das eigentliche Dilemma seinen Anfang. Denn du als Mutter bist scheinbar der einzige Mensch auf der Welt, der das Kind zwar abgöttisch liebt, ihm aber dennoch seine Wünsche abschlagen kann. Alle anderen verfallen den großen Kulleraugen und den kleinen Stupsnasen. Alle! Allen voran die Großeltern, dicht gefolgt von Tanten und Onkeln.

Von wegen ein ganzes Dorf. Deine Eltern, also die Großeltern deines (B)Engels, wirst du nicht wieder erkennen. Sie schleppen Spielzeug an, das du selbst als Kind immer haben wolltest und nicht bekommen hast. (Ja, uns ging es nicht schlecht, aber als Kind kann man ja nicht genug haben.) Sie lassen Milde walten, die du so nicht erlebt hast. Statt einer Zurechweisung gibt es nur ein "Mei, du Lauser!", der Knuff in die Wange für den Bazi fehlt noch. Wenn du dieses Verhalten als Kind deiner Eltern beobachtest, bleibt dir nur der Mund offen stehen.

Bist du schließlich erkennst: Das Amt als Spaßbremse wurde dir von deinen Eltern bei der Geburt ihres Enkels feierlich weitergereicht. Ohne es zu ahnen, hast du sie von ihrer Bürde frei gesprochen. Ihr Enkel bekommt nun all das, was sie ihrem Kind - also dir - auch hätten geben wollen. Nur die Vernunft und das Bemühen, keine egoistische und verschwenderische Rotznase aus dir zu machen, haben sie davon abgehalten. Jetzt können sie das aber tun. Denn die regulierende Instanz, die Spaßbremse, bist ja nun du. Und da sie doch der Meinung sind, ihre Sache gut gemacht zu haben, vertrauen sie dir voll und ganz.

Also bist eben du bis zur Geburt deines Enkels die Spaßbremse. Aber irgendwann, ja, irgendwann, wirst auch du die Erziehung auf Werkseinstellung zurücksetzen können und den Wanderpokal weiterreichen!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Küchenschlacht

Teller, Tassen, Schüsseln, Gewürze und Töpfe stapeln sich auf der Arbeitsfläche und dem Küchentisch. Goldlöckchen linst zur Tür herein, macht auf der Stelle kehrt und erstattet dem Rest der Mannschaft Bericht. Alarmstufe rot! Die Küche ist Sperrgebiet! Kontaktaufnahme mit Mama nicht möglich! Der Göttergatte packt die Kinder ein und evakuiert zur Schwiegermutter. Als die Familie zurückkehrt, scheint alles ruhig. Ich liege mit hoch gelegten Füßen auf der Couch. Der Göttergatte traut dem Frieden nicht. Schon auf der Arbeitsfläche sind Veränderungen zu erkennen. Die Kaffeemaschine hat die Seite gewechselt. "Kinder, helft den Tisch für die Brotzeit decken!" Er öffnet den ersten Schrank und macht ihn wieder zu. Die Teller werden vermisst. Goldlöckchen zieht die Besteckschublade auf. "Hä? Wo sind die Messer?" Ich verdrehe die Augen, versammle die Mannschaft und gebe eine Einweisung. Die Tassen und Teller orientieren sich an der Kaffeemaschine, das Besteck musste sich aufte...

Willi, der kleine Weihnachtsbaum

Willi freut sich. Er reckt jeden seiner Äste von sich und schüttelt die Schneeschicht ab, die sich über Nacht wie Puderzucker über seine Zweige gelegt hat. Jeder soll sehen können, was für eine prächtige Nordmanntanne er ist. Er ist der perfekte Weihnachtsbaum. Es ist der Tag vor Heilig Abend. Heute lernt er die Familie kennen, mit der Willi das Weihnachtsfest verbringen darf, da ist er sich sicher. Schon stapft Bauer Heinrich zu dem Metalltor des kleinen Christbaumverkaufs. Er löst die schwere Kette und schiebt das Tor weit auf. Einige Autos warten schon und fahren auf den Parkplatz. Sie sind bunt wie Christbaumkugeln. Willi überlegt, in welchem Auto er mitfahren wird. Vielleicht in dem blauen? Oder in dem grünen? Er kann es kaum erwarten, mit roten und goldenen Kugeln geschmückt zu werden. Wird er eine Spitze oder einen Stern als Krone aufgesetzt bekommen? Willi fühlt schon die Geschenke, die von unten an seinen Zweigen kitzeln und wie sich seine Lichter in den Augen der Kinder spieg...

Schrödingers Gutschein

Bei The Big Bang Theory schaut Mathe und Physik immer so einfach aus. Nie hätte ich gedacht, selbst einmal auf ein Phänomen zu stoßen, das die Welt revolutionieren könnte. Doch genau das ist geschehen! Ich bin da etwas ganz Großem auf der Spur... Alles begann ganz harmlos damit, dass ich von meiner Schwiegermutter einen Gutschein mit den Worten "Gönn dir was Schönes!" geschenkt bekam. Im Gegensatz zu Bargeld, das erst in Lichtgeschwindigkeit im Geldbeutel verschwindet, um dann wie eine Sternschnuppe für Klopapier und Zahnpasta zu verglühen, ist ein Gutschein dazu in der Lage, den Aggregatszustand eines Wunsches von Schall und Rauch in eine feste Masse zu verwandeln. It's magic! Ich saß also abends auf der Couch und scrollte planlos durch den Online-Shop, bis mir einfiel, dass ich ich schon lange dieses eine E-Book haben wollte, das mir bisher immer zu teuer war. Blöd nur, dass mein Gutschein in den unendlichen Weiten meiner Küchenschublade feststeckte. Leider war es mir a...