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Im Rathaus

Weil der Kindergartenausflug an die Grenze zu Österreich gehen sollte, bat die Leitung darum, Ausweispapiere mitzunehmen. Ausweispapiere? Haben wir nicht. Also Zwergnase hat keine. Wir sahen bisher keine Notwendigkeit, ihn auf das Ausland loszulassen.
In meiner Vorstellung ließ ich ganz entspannt Fotos von Zwergnase machen, um dann ohne ihn im Rathaus vorstellig zu werden, während er im Kindergarten ist. Gibt schließlich Spannenderes als einen Ämtergang. Um einen Kinderreisepass zu beantragen, muss man das Kind allerdings mitschleifen. Erschien mir beim ersten Durchlesen unsinnig, beim zweiten Mal jedoch schlüssig. Da könnte ja jeder mit einem beliebigen Kinderbild antanzen und Ausweispapiere besorgen!

Geburtsurkunde benötigt man auch, aber das ist nachvollziehbar. Was mir etwas lästig erschien, war die Zustimmungserklärung des zweiten Sorgeberechtigten. Ich schlepp doch nicht den Nasenpapa mit aufs Amt. Das kann ich alleine erledigen! Reicht ja, wenn einer von uns warten muss! Zähneknirschend und mich in meiner Selbstständigkeit beschnitten fühlend, tippte ich die Zustimmung, die er mir natürlich unterschrieb. Aber mir ging es ums Prinzip! In welcher Welt leben wir eigentlich, in der ich die Einverständnis meines Ehegatten brauchte! Offensichtlich lebe ich in einer heilen Welt, in der so etwas wie Kindesentführung nicht vorkommt. Denn das wäre ohne Zustimmung ja ziemlich leicht möglich. Also auch kein bürokratischer Wahnsinn, wie ich zugeben muss.

Mit biometrischen Fotos bewaffnet, die auch das süßeste Kind wie einen Schwerverbrecher erscheinen erlassen, zog ich die Nummer am Automaten. Bürgeramt. Passangelegenheiten. Wir saßen noch nicht richtig, als Zwergnase um etwas zu trinken bat. Kein Wunder. Er hatte die Breze, die er nach dem Fotografieren bekommen hatte, in Rekordzeit verputzt. Ich sah mich nach einem Wasserspender um. Vergeblich. "Mama, ich hab Durst!" Es waren noch 5 Leute vor uns, so lange konnte ich ihn nicht vertrösten. Ich wandte mich kurzerhand an den Informationsschalter.

"Entschuldigung bitte, gibt es hier irgendwo einen Getränkeautomaten? Mein Sohn hat Durst." Die Mitarbeiterin schaute über den Rand ihrer Brille. "Wo ist er denn? Der Sohn." Ich zeigte auf den Wartebereich, wo Zwergnase artig sitzen blieb. Sie lehnte sich etwas vor und spähte hinüber. "Einen Getränkeautomaten haben wir nicht." Ich überlegte. Sollte ich die Nummer sausen lassen und wieder gehen? Wasser vom Wasserhahn auf dem Klo? Örgs. Nicht wirklich. Ich war mir so sicher, dass es hier mal einen Wasserspender gegeben hatte. Die Mitarbeiterin zog währenddessen eine Schublade auf, griff nach einer kleinen Wasserflasche und reichte sie mir zusammen mit zwei Becher. Als ich bezahlen wollte, winkte sie nur ab. "Rufen Sie ihn doch mal!" Zwergnase kam flink angestutzelt. "Da, schau her, damit dir die Warterei net langweilig wird!" Großmütterlich strahlte sie Zwergnase an und reichte ihm zwei kleine Päckchen Gummibärchen. Die restliche Wartezeit war gerettet.

"Jetzt habe ich alle Gummibärle zam'gessen!", rief Zwergnase aus, als wir mit dem Reisepass in der Hand durch die Tür wollten. Ich wollte ihn schon auf zuhause vertrösten, da winkte die nette Mitarbeiterin schon wieder mit dem Süßigkeitenglas. "Dann nimmst da halt noch a paar mit! Geh' her do!" Kein Wunder, dass Zwergnase am nächsten Tag gleich wieder ins Rathaus wollte. Da gibt es nämlich eine sehr nette Frau mit etwas zum Trinken und gaaaaaanz vielen Gummibärchen.

Kommentare

  1. Kann ma se denn über alles aufregen ?
    Und wie wads vielleicht mit a bissl Vorbereitung ?
    Man kann überall im Internet nachlesen, was ma für an neuen Pass braucht oder man nimmt diese neumodische Erfindung namens Telefon und fragt nach.
    Und sich beschweren, dass da koa Wasserspender vorhanden is ?!
    Erwachsene schaffen doch woi a Stund warten ohne was flüssiges zu brauchen und wenn ma Kinder hat kann i wieder nur auf de Vorbereitung verweisen. Da nimmt ma hoid a kloane Flaschen mid.
    Da steht ma selber a bissl in Verantwortung und kann ned immer andere für sei Unvermögen verantwortlich macha, aber für de heutige Gesellschaft gilt des wohl nimmer.

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    1. Öhm. Eigentlich hab ich mich einfach über die freundliche Dame am Info-Schalter gefreut. Die Notwendigkeiten für den Antrag hatte ich ja zuhause recherchiert und zusammengestellt?

      Liebe Grüße
      Karin

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    2. Wenn ich mir da Frau oder Herrn Anonym ansehe bewahrheitet sich das Sprichwort "wer lesen kann...!
      Ich find es toll und es gibt Sie nicht überall, die netten Damen mit Gummibären!
      ...wo war der Schalter doch gleich noch mal ??

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    3. Lieber Ulli,

      ich sags gerne noch mal. Die ganz freundliche Dame sitzt am Infoschalter im neuen Rathaus in Deggendorf. Ich hoffe, dass sie mein Text auf irgendeinen Weg erreicht, denn sie hat das Lob sowas von verdient :)

      Es ist so beruhigend, dass es auch noch so freundliche Menschen gibt.

      Lg, Karin

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  2. Hallo liebe Karin,

    ehrlich gesagt, habe ich mir bei deinem Link in der Bloggeria und der Überschrift/dem Bild auch gleich gedacht "ui, da kommt jetzt was Schlechtes". Ich weiß, man soll interessante Überschriften wählen, aber diese impliziert tatsächlich nichts Gutes ;o).

    Ansonsten hoffe ich auch, daß dieser Text diejenige erreicht, die es betrifft. Ich liebe solche Menschen und auch bei uns war es damals ähnlich in Mühldorf. In Bayern sind halt doch "vui liabe Leid".

    Einen schönen Feiertag und liebe Grüße
    Sandra, die auch lesen kann oder hier immer gern liest

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    1. Liebe Sandra,

      vielen Dank für deinen Kommi. Ja, ich weiß, die Überschrift ist böse...

      Aber wenn da stünde "Kinderfreundlichkeit im Deggendorfer Rathaus", klickt das doch keiner an... und dann erfährt doch niemand von der netten Frau mit den Gummibärchen! Wäre doch auch schade...

      Leider werden Aufreger oder Sex-Gedümpel häufiger geklickt :(

      Liebe Grüße, Karin

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    2. Bei deinem Titel dachte ich schon an etwas schlimmes. Toll geschrieben und wirklich überraschend das es noch nette Menschen beim Amt gibt. Immer diese Vorurteile ;)

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